Experimentierbaukasten
Testumgebung für bautechnologische Innovationen
Das modulare Forschungs-, Demonstrations- und Innovationsgebäude NEST – Next Evolution in Sustainable Building Technologies der beiden Forschungsinstitute Empa und Eawag in Dübendorf fungiert buchstäblich als Experimentierbaukasten: Das Bauwerk von Gramazio Kohler Architects war zunächst als reiner Rohbau fertiggestellt worden und wird nun stetig mit neuen Raummodulen gefüllt, die sich jeweils einem Forschungsthema der ETH Zürich widmen. Von neuen Materialien, Systemen und Technologien bis hin zu alternativen Wohn- und Arbeitsformen werden hier verschiedenste Forschungsansätze unter Realbedingungen erforscht und weiterentwickelt. Ende 2021 wurde die neueste Einheit mit dem Namen HiLo eröffnet.
Hohe Leistung, niedrige Emissionen
HiLo steht für High Performance, Low Emissions: Mit der Einheit erproben die Forschenden, wie das Bauen und der Betrieb von Gebäuden möglichst energie- und ressourcenschonend gestaltet werden kann, ohne Abstriche bei Komfort und gestalterischem Anspruch in Kauf zu nehmen.
Das zweigeschossige Raummodul befindet sich auf dem Dach des NEST-Gebäudes und besticht durch ein markantes, doppelt gekrümmtes Betondach. Bei Planung und Bau trafen traditionelle Konstruktionsprinzipien auf innovative Entwurfs- und Fertigungsmethoden. Für die neuartige Leichtbau-Gewölbedecke ließen sich die Forschenden von selbsttragenden Konstruktionen alter Kathedralenbaumeister inspirieren, während bei Planung und Bau modernste digitalen Werkzeuge zum Einsatz kamen.
Leichtbauweise für Ressourcenschonung
So wurde das Dach mithilfe einer flexiblen Schalung aus einem gespannten Stahlseilnetz aus Kabeln und Ringknoten mit aufgelegter Membran umgesetzt. Dieses Netz wurde mithilfe von Algorithmen so berechnet, dass es erst durch das Gewicht des aufgespritzten Frischbetons in die gewünschte Form gebracht wird. Um die Auswirkungen der Betonlast auf die Form des Netzes kontrollieren zu können, waren Vermessungspunkte an den Ringknoten angebracht worden, die die Lage der Knoten digital übermitteln konnten.
Die Tragfähigkeit des Daches wird letztendlich durch die Gewölbegeometrie und den zweischaligen Aufbau gewährleistet: die zwei Betonschalen sind durch Betonrippen und Stahlanker miteinander verbunden. Als Bewehrung nutzte man ein Carbongewebe. Mit dieser Leichtbau-Konstruktion wurde im Vergleich zu herkömmlichen Betondecken mehr als 70% Material eingespart. Dank der eingesetzten digitalen Fertigungsmethoden konnten Lüftung, Kühlung und Niedertemperaturheizung in die gerippte Gewölbedecke integriert werden, wodurch zusätzlich Material und Volumen gespart werden.
Selbstlernende Gebäudetechnik
Die Einheit ist als Bürogebäude vorgesehen. Für dessen Betrieb wurde eine Reihe innovativer Komponenten der Gebäudetechnik für die effiziente Regulierung des Raumklimas eingerichtet. Unter anderem findet sich an der Hülle des HiLo eine von Arno Schlüter und Team entwickelte, adaptive Solarfassade, die CO2-neutrale Stromproduktion durch gebäudeintegrierte Photovoltaik mit intelligenter Beschattung kombiniert. Die 30 Photovoltaik-Module sind beweglich und richten sich automatisch aus, um möglichst viel Sonnenenergie einzufangen und lassen dabei durch die Änderung ihrer Ausrichtung und Position so viel Sonnenlicht in die Räume, wie es Wetter und Raumklima erfordern.
Während des Betriebs sollen alle Komponenten der Gebäudetechnik intelligent miteinander vernetzt werden. Unter Berücksichtigung der vorhandenen Nutzerinnen und Nutzer wird mittels künstlicher Intelligenz und Machine Learning das Zusammenspiel aller Komponenten stetig optimiert, um zu ermitteln, wie behagliche Innenraumbedingungen mit möglichst wenig Energie und Emissionen erzielt werden können.
Text: Sulafa Isa